Funktionsweise der Ersatzstimme

Die operative Entfernung des Kehlkopfes (Larynx) infolge von Kehlkopfkrebs erfordert die Trennung des Luft- und Speiseweges. Die weitere Atmung des Patienten erfolgt über eine hergestellte Öffnung der Luftröhre (Trachea) am Hals, indem der Stumpf der Luftröhre in die Halshaut eingenäht wird (Tracheostoma). Als weitere Folge der Operation geht die Funktion des Kehlkopfes als Stimmgenerator verloren. Eine Möglichkeit zur Ausbildung einer Ersatzstimme besteht darin, die voneinander getrennte Luft- und Speiseröhre (Ösophagus) durch ein Einwegventil aus Silikon erneut miteinander zu verbinden. In der untenstehenden Abbildung ist die Technik der Ersatzstimmgebung mittels Stimmventilprothese gezeigt. Während des Ausatmens ermöglicht der manuelle Verschluss des Tracheostomas die Umleitung des Luftstromes durch die Stimmventilprothese in die Speiseröhre. Die sich am oberen Ende der Speiseröhre befindlichen Schleimhäute ("pharyngeal-esophageal Segment", PE-Segment) lassen sich durch den Luftstrom in Schwingung versetzen.

Die Qualität der Ersatzstimme ist im wesentlichen vom Schwingungsmuster des PE-Segmentes abhängig und im Gegensatz zur laryngealer Stimmgebung deutlich reduziert. Gewöhnlich besitzt die Ersatzstimmgebung eine geringere Grundfrequenz und hinterlässt einen rauen Stimmeindruck. Die Verbesserung der Stimmqualität erfordert es, den Zusammenhang zwischen den dynamischen Eigenschaften des PE-Segmentes zu untersuchen.

Durchgeführt Untersuchung des Stimmgenerators

Untersuchungen der Ersatzstimmphonation haben gezeigt, dass die Stimmqualität durch die Schwingungscharakteristik des PE-Segmentes bestimmt wird. Der raue Stimmklang wird durch irreguläre Schwingungen des PE-Segmentes hervorgerufen. Das irreguläre Schwingungsmuster erklärt sich durch die asymmetrische Morphologie des PE-Segmentes. Ein Großteil dieser morphologischen Asymmetrien kann mittels Lupenendoskopie beobachtet werden. Der Einfluss von Muskelspannungen und Gewebesteifigkeiten auf die Qualität der Ersatzstimme kann jedoch ausschließlich während Phonation untersucht werden. Die Untersuchung der Ersatzstimmgebung ist mit herkömmlichen Methoden (Videostroboskopie) nur eingeschränkt möglich. Erst die Hochgeschwindigkeitstechnologie erlaubt detaillierte Einblicke in den Prozess der Ersatzstimmgebung. Mittels einer endoskopischen Hochgeschwindigkeitskamera lässt sich der Schwingungsverlauf der am Stimmgebungsprozess beteiligten Schleimhäute mit ausreichender Zeitauflösung darstellen. In der folgenden Abbildung ist schematisch die Untersuchungssituation gezeigt. Die dort gezeigten Hochgeschwindigkeitsaufnahmen wurden in der Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie der Universität Erlangen-Nürnberg durchgeführt.

Der Schwingungsverlauf der Schleimhäute kann hierbei mit ausreichender Zeitauflösung dargestellt werden. Auf den Hochgeschwindigkeitsvideos lässt sich der Schwingungsvorgang der Schleimhäute durch die zeitabhängige Öffnungsfläche des PE-Segmentes identifizieren. Des weiteren wurde ein Laserprojektionssystem (LPS) entwickelt, das sich auf die Spitze des Endoskops montieren lässt. Mittels des LPS werden zwei parallele Laserstrahlen auf das Objekt projiziert, das mit dem Endoskop betrachtet wird. Durch Kenntnis der Abstände zwischen den beiden Laserstrahlen wird das Bild metrisch skalieren. Der Aufbau des Projektionssystems sowie eine Schemazeichnung sind in den nachfolgenden Abbildungen dargestellt.

Ergebnisse der Bildverarbeitung

Die aufgenommenen Hochgeschwindigkeitsaufnahmen wurden mit einem entwickelten Bildverarbeitungsverfahren analysiert. Der Algorithmus besteht aus zwei Teilen. Zunächst werden in einer HG-Sequenz die Bildanteile bestimmt (ROI), die für die Ersatzstimmgebung relevant sind. Durch Kenntnis des ROIs lassen sich die Bewegungen des PE-Segmentes mit einem angepasst Aktiven Kontur Modell segmentieren. Die nachfolgenden Filme zeigen vier segmentierte HG-Aufnahmen. Rechts neben den HG-Aufnahmen sind die errechneten ROIs farbig dargestellt. Rot kennzeichnet die Bildregion, in der die PE-Schwingungen identifiziert werden konnten.

Film 1
Film 2
Film 3
Film 4
Stop

Analyse der Schwingungsmuster: Die linke Abbildung zeigt in einer dreidimensionalen Darstellung die PE-Schwingung, die aus dem dazugehörigen Filmen extrahiert wurde. Es lässt sich das zeitabhängige Öffnen und Schließen des PE-Segmentes entlang der Zeitachse erkennen. Zur weiteren Analyse des Schwingungsmusters wird das Flächenintegral berechnet, das durch die weiße Kontur (siehe Film) aufgespannt wird (unten links). Das Spektrum der jeweiligen Fläche und das dazugehörige Spektrum des akustischen Signals ist in den rechten beiden Abbildungen gezeigt. In allen Datensätzen weisen die Flächenspektren eine starke Ähnlichkeit mit den Spektren der abgestrahlten akustischen Signale (der Ersatzstimme) auf. Dies belegt den engen Zusammenhang zwischen dem Schwingungsmuster des PE-Segments und der Qualität der Ersatzstimme und zeigt, dass die Hochgeschwindigkeitstechnik ein wertvolles Instrument zur Untersuchung der Ersatzstimme darstellt.

Zur Modellierung des PE Segmentes: Der Larynx kann in den wesentlichen Grundmechanismen der Lauterzeugung als Analogon für die Ersatzstimmgebung herangezogen werden. Der anatomische und physiologische Aufbau des Kehlkopfes weist jedoch im Allgemeinen eine weitaus höhere Symmetrie auf als das PE-Segment. Um den Prozess zur Ersatzstimmgebung zu untersuchen, wurde daher ein biomechanisches Modell der Stimmgebung entwickelt. Aufgrund der Ähnlichkeit zur laryngealen Stimmgebung beruht das Modell der Ersatzstimmgebung auf einem biomechanischen Modell von Stimmlippen.


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